Kaffee trinken lässt sich wunderbar in Lebensphasen einteilen – wie ein gutes Drama in Akten. Schliesslich geht es beim Kaffee um Genuss, und wie wir alle wissen, verändert sich der Gusto im Laufe des Lebens. Es gibt also diese Kaffeehäuser, die du früher richtig cool fandest, die heute jedoch ein klares „No-Go“ sind. Und dann ist da auch noch die Art des Kaffees, die sich bei mir entwickelt hat. Vom süssen Sirup-Brei über Cappuccino mit Herzchen bis hin zu schwarzem Filterkaffee ohne jegliche Gnade.
Trotzdem reizt es mich immer wieder, Konzepte zu besuchen, die ich einst toll fand. Heute suche ich sie allerdings aus ganz anderen Gründen auf – nennen wir es eine Mischung aus Nostalgie und masochistischer Neugier. So auch dieses eine amerikanische Kaffeehaus mit dem grünen Logo, das ich einst für das Nonplusultra hielt.
Nach meinem Besuch war ich jedoch vor allem über zwei Dinge froh: dass ich meine Blase entleeren konnte und dass meine elektronischen Geräte wieder Strom haben. Die Magie des Ortes? Nun ja, sie hat sich offenbar verabschiedet – zusammen mit meinem früheren Geschmack.
Eine meiner Einsichten ist, dass jede Bewegung auch eine Gegenbewegung hat und braucht … und darum sitze ich gerade bei meiner Gegenbewegung und trinke Sirup mit Café oder so was Ähnliches. Ich bin mir jetzt nicht ganz sicher, ob ich mit dem Preis von 14.40 für Kaffee und Gebäck die Tasse und den unbequemen Stuhl mitnehmen darf. Es ist aber spannend, wie die Studenten nicht mehr hier sitzen und die Expats sich sicher über die Nannys ihrer Nachbarn aufregen, welche die schreienden Kleinkinder nicht im Griff haben. Studis stehen nun hinter den Theken, servieren dir die Brühe und nerven sich ebenfalls über die Kundschaft. Wer nicht miteinander spricht, schaut in seinen Laptop, welcher gerade mit neuem Strom – immerhin Ökostrom, zumindest weist der Aufkleber auf der Steckdose darauf hin – versorgt wird. Im übrigen gehöre ich auch zu diesen Gästen.
Wenn du die Mitarbeiter aus dem Konzept bringen willst, musst du bar bezahlen und freundlich sein. Beides ist in diesem amerikanischen Kaffeehaus in Zürich geradezu so selten, dass ich wohl nun die Ausnahme oder das Highlight des Tages war. Für mich wartet das Highlight hoffentlich noch. Diese Gegenbewegung hier war für mich mal der Hebel der Zukunft, und ich bin stolz, dass mich meine Wege in eine andere Richtung des Lebens geführt haben. Früher verstand ich nicht, warum die Studenten sich den Kaffee hier leisten. Heute verstehe ich nicht, warum ich mir das antue. Aber um zu verstehen, warum du dich bewegen kannst, musst du eben auch die Gegenbewegung verstehen, damit du in die richtige Richtung gehst. Das Gute schmeckt nur so extrem fein, weil du eben auch das andere kennst, das dir nicht schmeckt oder definitiv „out of your mind“ ist. Schräg ist eigentlich, dass ich ins Kaffee Schoffel wollte, welches sich ohne mein Wissen verabschiedet hat und dieses Sternekloakal der Kaffeekultur überlebt hat.
Die Gedanken, die mir beim Genuss meines Pistachio Velvet Latte – der eher wie ein Tee klingt als wie ein Getränk, das seinen Ursprung in Äthiopien hat – durch den Kopf gehen, führen mich zurück in diverse Lebensabschnitte. Besonders an jene jungen, unvernünftigen Jahre, in denen ich im Pub um die Ecke locker sieben Espresso in mich reinschütten konnte, während meine Kumpels Bier stemmten. Oder an die glorreichen Skitage, an denen ich keine einzige Kurve gemacht habe, ohne mindestens drei Kaffi Schnaps noch vor dem Mittagessen zu inhalieren.
Und nun sitze ich hier und trinke Kaffee mit grünem Sirup, den ich aus dem Wirrwarr der überambitionierten Kaffeeangebote ausgewählt habe. Immer offen für Neues, immer inspiriert – oder zumindest versuche ich es. Ich bin mir sicher, dass dieses Getränk in Muffinform bestimmt genauso „besonders“ schmecken würde.
Auffällig ist jedoch: In der halben Stunde, in der ich hier auf meinen nächsten Termin warte, wurde kein einziger Espresso bestellt. Nicht einer. Dafür essen erstaunlich viele Menschen zu ihrem Getränk ein Gipfeli. Tradition trifft hier also auf Exotik – oder vielleicht ist man bei den Gebäcken doch weniger experimentierfreudig als bei den Getränken.
Fazit meiner Pause im amerikanischen Kaffeehaus mit Schweizer Kaffeemaschine: Die Zeiten haben sich verändert – nicht nur bei mir. Oder wie Tolkien (ja, der Herr der Ringe-Tolkien) so schön geschrieben hat: „Die Strassen werden grauer und die Wiesen grüner.“ Oder war es doch andersrum? Vielleicht habe ich mich ja verändert.
Eins steht fest: Wegen des Kaffeegenusses war ich definitiv nicht hier. Und die Sünde mit der Milch – oh, die werde ich heute noch spüren. Aber hey, man gönnt sich ja sonst nichts. War der Besuch das trotzdem wert? Irgendwie schon. Es war ein kleiner Ausflug in eine Welt, die ich einst für faszinierend hielt, jetzt aber nur noch beiläufig betrachte.
Jetzt freue ich mich umso mehr auf einen richtigen Kaffee. Ohne grünen Sirup, ohne fancy Namen – einfach Kaffee.
16. Januar 2025 - Starbucks - Limmatquai - Zürich